Von Blasen, Frust und der Herberge Jesu! - Eine wahre Weihnachtsgeschichte vom Jakobsweg

Eigentlich ist es eine Weihnachtsgeschichte. Wir sind zwar nicht die drei Weisen aus dem Morgenland, die dem Stern bis nach Bethlehem folgten und dort Jesus in der Krippe fanden. Doch zu dritt waren wir tatsächlich unterwegs, Flo, Nadine und ich, und sind seeehr weit gelaufen, 600km!, bis wir in einer Herberge landeten, wo wir von Jesus selbst in Empfang genommen wurden… Doch alles der Reihe nach:

Eigentlich wollten meine Wanderfreunde Flo, Nadine und ich dieses Jahr den Israel National Trail laufen, 1000km durch Israel, quer durch die Negev-Wüste bis nach Eilat, aber wegen der brisanten Lage in Israel haben wir diesen Plan fürs erste auf Eis gelegt. Dafür entschlossen wir uns, stattdessen den portugiesischen Jakobsweg zu laufen. 600km quer durch Portugal und Spanien bis nach Santiago de Compostela, wo der Jakobsweg endet, und dann nach Finisterre, ans «Ende der Welt», wie es genannt wird, wo es nur noch einen Leuchtturm gibt und dahinter nichts als das weite unendliche Meer. Flo war einst den französischen Jakobsweg gelaufen, Nadine und ich waren «Greenhorns» im Pilgern. Ich war schon total gespannt, wie das wird. 5 Wochen zusammen laufen, über 20km am Tag, bei Wind und Wetter, von einer Herberge zur andern.

Wir starteten in Tomar, das ist ein Stück nördlich von Lissabon. Ausgerüstet mit Wanderschuhen, 12kg am Rücken, alles dabei, was man braucht. So zogen wir los, voller Begeisterung und Neugier, was wir unterwegs erleben würden. Wir starteten bei herrlichem… Regen. Und der hielt sich hartnäckig. Zumindest kamen unsere Regenponchos voll zum Einsatz, und das sage und schreibe… zwei Wochen lang! Tja, aber wie heisst es so schön? Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung! Und schliesslich sind wir drei eingefleischte Pfadis mit langjähriger Erfahrung in verregneten Pfingstlagern. Also was kann uns etwas Regen schon anhaben? Nicht zu vergessen Flos und meine achttätige Wanderung vor eineinhalb Jahren bei Regenwetter und Matsch durch Torres del Paine in Patagonien, Chile. Also mit Regen kennen wir uns aus!

Was uns allerdings echt zu schaffen machte, war der Boden! Asphaltstrassen bis zum Horizont! Und das ebenfalls 2 Wochen lang! Ich weiss noch, am ersten Wandertag, als wir von mehreren Pilgern mit Turnschuhen überholt wurden, haben wir sie alle belächelt. Ein richtiger Schweizer Wanderer trägt Wanderschuhe! Punkt! Nun, nach den ersten Tagen belächelten wir die Turnschuh-Pilger nicht mehr und wünschten uns nur, wir hätten auch Turnschuhe statt Wanderschuhen! Ganz im Ernst, ich hab nicht mal gewusst, dass Füsse sooo schmerzen können! Die letzten Kilometer am Tag hab ich mich jeweils nur noch mit Ach und Krach bis zur Herberge geschleppt. Schon mal 8 Stunden täglich in Wanderschuhen auf Teerstrassen gelaufen? Keine gute Idee, ich sags euch! Unsere Compeed-Pflaster waren bald aufgebraucht, und die Füsse pulsierten sogar im Schlaf!

Es war mir echt ein Rätsel, wie uns einige Pilger mit glückseligem Lächeln grüssten, als wäre Pilgern das Entspannteste, was es gibt! Von wegen Entspannung! Alles, woran ich denken konnte, war der nächste Schritt und wie lange ich die Schmerzen noch ertragen würde. Meine Tagebucheinträge wurden reine Frusteinträge. Und ich hatte mich so auf diese Reise gefreut! Was tat ich hier eigentlich?! Es war eine einzige Katastrophe. Und zu allem Übel führte der grösste Teil des Weges stark befahrenen Autostrassen entlang und wir mussten die Abgase der Lastwagen einatmen, die an uns vorbeirauschten und uns nass spritzten. Ah!!! Und warum tut man sich das nochmals an? Freiwillig? Es wurde mir je länger je mehr ein Rätsel, was ich hier verloren hatte. Wäre ich alleine gewesen, ich hätte das Unterfangen wohl nach zwei Tagen abgebrochen. Ganz ehrlich. Ich wusste beim besten Willen nicht, wie ich es bis Santiago de Compostela schaffen sollte.

Nach zwei Wochen war mein absoluter Tiefpunkt. Ich sass völlig fertig und durchfroren in einer heruntergekommenen Herberge mit Schimmel an den Wänden und sagte meinen Freunden: «Leute, ich kann nicht mehr. Keinen Tag länger. Ich brauche Turnschuhe!» Bis Porto, wo es ein Sportgeschäft gab, waren es aber nochmals 3 Tage, also nochmals ca. 70km! «Das schaff ich nicht!», dachte ich nur.

Der nächste Tag war wieder die reinste Tortur, doch als wir in der Herberge ankamen und ich der Herbergen-Gastgeberin unser Problem schilderte, sagte sie ohne lange zu überlegen: «Ich muss heute eh noch in die Stadt. Dort gibt es ein riesiges Sportgeschäft. Ich könnte euch mitnehmen!» Ich traute meinen Ohren nicht. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Und tatsächlich, zwei Stunden später standen wir im Decathlon, einem riesigen Sportgeschäft, und kauften uns Turnschuhe mit Sohlen, als würde man auf Wolken gehen! Ahhhhh!!! Ich kann das Gefühl kaum beschreiben, als ich am nächsten Tag in meine neuen Turnschuhe schlüpfte und loslief. Jetzt war ich es, die alle entgegenkommenden Pilger angrinste, als würde ich auf Wolke 7 schweben!

So hatte sich Jesus also um unsere Füsse gekümmert, gerade, als wir nicht mehr länger konnten. Und er kümmerte sich auch weiterhin um uns. Zum Beispiel sahen wir immer mal wieder einen Regenbogen, und es kam mir jedesmal so vor, als würde Gott uns anfeuern und sagen: «Ihr schafft das! Das Ziel ist nicht mehr weit!»

Als uns nur noch 3 Tagesmärsche bis Santiago de Compostela fehlten, machten wir die Bekanntschaft mit zwei sehr unterschiedlichen Gastgebern in zwei Herbergen, die sich wie Himmel und Hölle voneinander unterschieden. Die erste Herberge war die gruseligste Herberge des gesamten Weges und trug den passenden Namen «Dämmerung». Ich hatte extra vorher angerufen und gefragt, ob es eine Küche zum Kochen gäbe, worauf die Besitzerin mich ziemlich wirsch angeschnauzt hatte:

«Pilgerküchen sind illegal! Die lassen die Pfannen auf dem Herd stehen und fackeln einem das ganze Haus ab! Und Messer sollte man auch verbieten. Irgendwann kommt einer und sticht uns alle ab! Also nein, es gibt keine Küche!»

«Na, das kann ja heiter werden», dachte ich, als ich auflegte.

Um 14 Uhr öffnete uns die Besitzerin die Tür, musterte uns sehr misstrauisch und huschte gleich wieder fort. Wir betraten die Herberge. Es war sehr düster, und das erste, was wir auf dem Flur sahen, war die Halloweendeko, ein Krankenhausbett mit einem Skelett, das an einer Blutinfusion hing. «Na toll», dachte ich. «Wo sind wir denn hier gelandet?» Wir zwängten uns an dem Skelett vorbei, und die Besitzerin öffnete ein Fensterchen in der Wand, wo wir uns anmelden mussten. Überall hingen Verbotsschilder. «Bist du nicht mein Gast, frag mich nichts!» «Restricted area, keep out!» Ich kam mir vor wie in der Szene eines Horror-Films.

Nachdem wir bezahlt hatten, reichte uns die Frau ein Bündel vergilbter Leintücher und führte uns zu unseren Stockbetten. Alles war schmuddelig. Überall lagen leere Putzmittel herum. Im Flur brannte die ganze Nacht eine Glühbirne, und bei Nadine waren sogar Käfer im Bett… Unnötig zu erwähnen, dass wir alle sehr froh waren, als wir am nächsten Morgen die Herberge wieder verlassen konnten. Das war echt unheimlich gewesen!

Und eben weil es dort so düster gewesen war, stach die Herberge am nächsten Abend umso mehr heraus, wie ein warmes Licht in der Dämmerung, wie Weihnachten mitten in Halloween!

Es war die letzte Herberge vor Santiago de Compostela, und sie trug den Namen «Weinkelter Jesu». Ich hatte sie eigentlich vorreserviert. Da aber für den 8. November starker Regen angekündigt war, stornierte ich die Übernachtung per Sprachnachricht, um stattdessen eine Herberge in Padron zu nehmen, einer Stadt, die etwas näher gelegen war. Als wir Padron erreichten, war aber noch kein Tropfen Regen gefallen, und wir fühlten uns noch fit genug, noch ein paar Kilometer zu laufen. Also rief ich wieder in der «Weinkelter Jesu» an und sagte, wir würden nun doch kommen.

«Natürlich! Ihr habt ja reserviert!», sagte eine freundliche Frau, und es klang, als hätte sie die Stornierung überhaupt nicht erhalten. «Mein Mann wird euch in Empfang nehmen.»

Auf den letzten Kilometern begann es dann wie aus Eimern zu schütten. Als wir die Herberge endlich erreichten, war es bereits dunkel. Es war kalt und regnete noch immer in Strömen. Der Herbergen-Besitzer öffnete die Tür, und eine wohlige Wärme strömte uns entgegen. Der Mann nahm uns gleich die Regenponchos ab und hängte sie auf. Anschliessend nahm er unsere Wanderstöcke und stellte sie in einen Regenschirmständer neben der Tür. Dann blickte er auf unsere nassen Turnschuhe und sagte:

«Ich mach euch ein Feuer im Kamin, dann könnt ihr dort die Schuhe trocknen. Und Zeitungspapier, um sie zu stopfen, hab ich auch. Mein Name ist übrigens Elias.» Wir waren total baff über die Herzlichkeit, die uns dieser Gastgeber entgegenbrachte! Wir fühlte uns sofort wie zu Hause. Elias zeigte uns unsere Betten und den offenen Kamin. Alles war hell und freundlich und sauber, und nachdem wir geduscht hatten, machte Elias extra ein Feuer für uns, und wir setzten uns ans Feuer, wärmten unsere Füsse und tranken ein Glas Wein dazu.

Es war eine Szene wie aus einem kitschigen Weihnachtsfilm! Wirklich! Was für ein Gegensatz zu der Horror-Halloween-Herberge abends zuvor!

Aber es ging noch weiter. Um 18 Uhr gab es Abendessen in der dazugehörigen Bar. Es war liebevoll an einem langen Tisch für acht Personen gedeckt, denn in der Zwischenzeit waren noch fünf weitere Pilger eingetroffen, davon witzigerweise vier Pilger, die wir bereits mehrmals unterwegs angetroffen hatten und die uns sehr sympathisch waren: eine Philippinin und drei junge Koreanerinnen. Die achte Pilgerin war eine ältere Holländerin. Eigentlich hätten Flo, Nadine und ich lieber nur unter uns sein wollen, doch es war nun mal für alle am selben Tisch gedeckt, und so setzten wir uns zusammen mit allen anderen an den Tisch.

Während der Gastgeber eine köstliche Vorspeise auftrug – die wir gar nicht bestellt hatten – und anschliessend jedem das vorher bestellte Essen brachte – welches unglaublich lecker war! – kamen wir mit den anderen Pilgern ins Gespräch. Wie sich herausstellte, hatte keiner von uns geplant, hier zu sein! Die Koreanerinnen hatten eigentlich auch in Padron übernachten wollen und waren einfach weitergelaufen, bis sie zufällig das Schild zur «Weinkelter Jesu» sahen. Die Philippinin hatte überhaupt nichts geplant, war einfach losgelaufen, bis sie dachte, ihre Füsse bräuchten jetzt eine Pause. «Und dann sind meine Füsse einfach bis zu dieser Herberge gelaufen!», erzählte sie und lachte. «Meine Füsse haben mich einfach hierher getragen! Ich kann es mir selbst kaum erklären. Aber genau so war es. Wirklich!» Unglaublich: Acht wildfremde Menschen, von denen eigentlich jeder andere Pläne hatte, und trotzdem waren wir alle hier gelandet, in der «Weinkelter Jesu», in der Herberge Jesu!

Es war tatsächlich, als hätte Jesus selbst uns in Empfang genommen und uns aus der kalten, regnerischen Nacht zu sich in die warme Stube eingeladen. Und alles war so liebevoll für uns vorbereitet, die Betten, das Feuer, die Zeitung für unsere nassen Schuhe, der Wein, der gedeckte Tisch, das Essen! Es war unglaublich! Da sassen wir also, in der «Weinkelter Jesu», und plauderten und lachten zusammen, als würden wir uns schon seit Ewigkeiten kennen. Aber das beste kam noch: Als wir alle satt waren, verteilte der Gastgeber plötzlich Champagnergläser, stellte sich mit einer Champagnerflasche ans Tischende und hielt eine kleine Ansprache.

«Als Maria, die Mutter von Jesus, ihm bei der Hochzeitsfeier sagte, es gäbe keinen Wein mehr, wisst ihr, warum Jesus da Wasser in Wein verwandelte?», fragte er uns. «Es war nicht, damit alle betrunken würden. Es war, damit alle Gemeinschaft hatten! Und das ist es, weswegen ich euch alle an einen Tisch gesetzt habe, damit ihr diesen letzten Abend, bevor ihr euer Ziel in Santiago de Compostela erreicht, gemeinsam feiern könnt. Ihr habt es bis hierher geschafft, und ihr schafft das letzte Stückchen auch noch. Ihr seid fast am Ziel! Und jetzt lasst uns feiern!»

Er gab dem Koch hinter der Theke ein Zeichen, worauf dieser eine fröhliche Musik laufen liess, passend für einen Triumphzug nach einer Schlacht. Dann liess Elias den Korken knallen. Er verspritzte den Champagner in alle Richtungen, genauso, wie es jeweils Formel-1 Fahrer auf dem Siegertreppchen machen. Er spritzte sogar einen Mitarbeiter nass, der gerade zur Tür hereinkam. Er lachte laut, und wir lachten ebenfalls und dann füllte Elias unsere Gläser und wir stiessen an und schossen ein Siegerfoto von uns allen. Wow! Was für eine Stimmung! Was für ein Abend! Was für ein Gastgeber!

Noch heute, wenn ich diesen Abend beschreibe, wird mir ganz warm ums Herz, und ich kann nicht anders, als übers ganze Gesicht zu strahlen und das eine oder andere bewegte Tränchen aus den Augen zu wischen. Es kam mir echt so vor, als hätte Jesus selbst uns in jener Nacht in seiner Herberge in Empfang genommen, als hätte er uns für alle Strapazen des Weges entschädigen wollen und uns gezeigt, wie stolz er auf uns ist, dass wir trotz Asphalt, Regen und schmerzender Füsse nicht aufgegeben und es bis hierher geschafft hatten.

Ich glaube, wenn wir einmal im Himmel ankommen, in der Himmelsherberge sozusagen, wird es einmal genau so sein: Jesus selbst wird uns aus der kalten, nassen Nacht hinein in seine warme Stube bitten. Und er wird sich so freuen, dass wir es geschafft haben, dass wir nach all den Strapazen des Lebens endlich bei ihm zu Hause angekommen sind. In seinen Armen. In seiner Liebe. Für immer bei ihm! Und falls es im Himmel Champagner gibt – nun, dann bin ich mir sicher, wird er die Korken knallen lassen, um diesen triumphalen Augenblick mit uns zu feiern. Wow!

Ja, das war der 8. November 2024 in der «Weinkelter Jesu». Und nun sitze ich hier in meinem Arbeitszimmer und draussen schneit es wie verrückt, während ich Weihnachtsmusik höre und darüber staune, was ich alles auf dem Jakobsweg erlebt habe und wie Gott uns wie der Stern von Bethlehem zu seiner Herberge geführt hat und wie er einfach mit uns unterwegs war, die ganzen 600km, manchmal ganz leise wie die Schneeflocken draussen, und manchmal mit triumphalem Korkenknall. Was für ein Privileg ist es doch, dass Gott selbst mit uns unterwegs sein will, in jeder Lebenslage.

Mit diesen Erlebnissen vom Jakobsweg möchte ich dir einfach eine ganz besinnliche Advents- und Weihnachtszeit wünschen. Auch wenn es vielleicht manchmal in deinem Herzen kalt und grau ist, manchmal vielleicht sogar beängstigend wie in einer Horror-Herberge, so schliess die Augen und stell dir in der Dunkelheit ein warmes Licht vor, eine Tür, die mitten in deiner Verzweiflung, mitten in deinen Tränen, mitten in deiner Finsternis aufgeht. Und stell dir vor, dass dort in der offenen Tür Jesus selbst steht und dich zu sich in seine warme Stube einlädt. Seine Tür ist immer offen für dich! Und er ist da und wartet auf dich mit einem warmen Feuer. Er nimmt dir deinen schweren Rucksack ab und führt dich zum Kamin, wo du dich aufwärmen und entspannen kannst. Und er deckt dir den Tisch und bereitet alles liebevoll für dich vor. Und er verwöhnt dich und freut sich so sehr, dass du zu ihm gekommen bist aus dem kalten Regen. Und er freut sich so sehr über deinen Besuch, dass er seine beste Champagnerflasche aus dem Keller holt und für dich den Korken knallen lässt. Siehst du es? Fühlst du es? Und das Schöne ist, du kannst jederzeit in Jesu Herberge zurückkehren. Jederzeit. Denn wer zu Jesus kommt, den stösst er nicht von sich weg. Niemals. «Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstossen!» (Jesus, Johannes 6,37) Und nun wünsche ich dir einfach von Herzen eine wunderbare Weihnachtszeit!

Damaris Kofmehl